Ansichten eines  fast  normalen Bürgers
Victor Hugbald im Gespräch mit hajo. Dreyfuß
 Ah-hör-doch-auuuf !
   
Der Fall Gerster
oder: ein neuer Genetiv
 
Der neue Chef brachte frischen Wind in die staubigen Flure des Arbeitsamtes: Aus der "Bundesanstalt für Arbeit" wurde eine "Bundesagentur", Arbeitslose waren nicht mehr devote Antragsteller bei einer wilheminischen Behörde, sondern durften sich im "Job-Center" als "Kunden" behandelt fühlen und konnten endlich auch im Internet nachblättern, daß immer noch hauptsächlich hochqualifiziertes Fach- und Führungs-Personal gesucht wurde. Und doch muß der Neue seine Aufgabe hinter den Kulissen auch ernst genommen haben, denn es dauerte nicht lange, und er wurde anläßlich eines Formfehlers geschaßt.
VH :In Deinem Job als Narr solltest Du Dich mit dem Arbeitsamt recht gut auskennen. Immerhin ist die Saison für "mittelalterliche" Märkte ja recht kurz. Gewiß ist Dir zum Sturz des neuen Chefs auch schon etwas Neunmalkluges eingefallen, oder?
hajo. :Aber natürlich.
VH :Würdest Du mich dieser Perle der Weisheit bitte teilhaftig werden lassen?
hajo. :Wer am Abgrund steht, sollte mit Fortschritt vorsichtig sein. Das Wort könnte seine Doppeldeutigkeit beweisen.
VH :Danke für das Bonmot. Ist das alles, was Du zum Thema zu bieten hast?
hajo. :Wie gefällt Dir das: Was der konnte, kann ich auch.
VH :Wie meinen?
hajo. :Ich meine, daß ich unter denselben Arbeitsbedingungen genauso weit käme. Mindestens.
VH :Jaja. Und Schweine können fliegen. Bis zum vorzeitigen Rausschmiß hättest Du es gebracht, sonst nichts. Überhaupt: Aus Deiner Position kannst Du ja herrlich lästern. Aber wenn Du wirklich auf diesem Platz wärest ...
hajo. :Das wollen wir doch mal sehen.
Guck mal, was ich gerade eben eigenhändig zum Briefkasten gebracht habe:
 
Hajo Dreyfuß
 
  (.. Adresse ..)
 neues Logo 
 ( Entwurf )
 
 
Wolfgang Clement
Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit
Scharnhorststr. 34-37
10115 Berlin
 
 
Bewerbung für das Amt des Vorstandsvorsitzenden der Bundesagentur für Arbeit (BA)
 
Sehr geehrter Herr Clement,
angesichts der Dringlichkeit, den Posten zu besetzen, übersende ich Ihnen meine Bewerbung für die o.g. Stelle direkt und unter Verzicht auf die üblichen Normen. Die wesentlichen Punkte sind enthalten, notwendige Details für den Amtsweg werden bei Bedarf gerne nachgereicht.
 
Eignung
Die schlechte Nachricht vorneweg: Ich habe weder Betriebs- noch Volkswirtschaft, und leider auch nicht die Wirtschaftswissenschaften je studiert mit emsigen Bemüh'n, bin auch in Jura unbeschlagen, noch habe ich jemals eine Manager-Schulung absolviert. Zudem bin ich auch in keinster Weise je für eine Führungsposition ausgebildet worden. Kurz und prägnant gesagt: Ich habe keine blasse Ahnung von der Materie.
Nicht etwa trotz, sondern gerade wegen dieser vordergründigen Hemmnisse halte ich mich für die zu besetzende Stelle in besonderem Maße geeignet.
 
Profil
Das Notwendige sei nur in Stichpunkten umrissen:
-Ich kann improvisieren.
-Ich verfüge über die Fähigkeit, Schwächen in Stärken zu verwandeln.
-Ich habe langjährige eigene Erfahrungen auf dem Gebiet der Arbeitslosigkeit.
-Ich bin noch jung genug, um lernen zu können ...
-und bereits alt genug, um in der Öffentlichkeit glaubwürdig zu wirken.
Zudem versetzen mich meine bisherigen Tätigkeiten als Schauspieler in die glückliche Lage, nahezu jedes erforderliche Image auszustrahlen. Überdies kann ich ein nachgerade schamloses Maß an Zuversicht und Selbstvertrauen verströmen. Dieses Schreiben ist ein Beispiel.
 
Perspektive
Gerade für die vordringliche Aufgabe - Reform der Bundesagentur für Arbeit - halte ich mich ich für hervorragend geeignet:
Ich weiß nämlich bereits im Voraus, daß die Aufgabe nicht lösbar ist:
Diese Agentur verwendet einen Großteil ihrer schwindenden Mittel und Kräfte darauf, sich selbst zu verwalten. Ihre eigentliche Aufgabe kann sie derweil nur unzureichend wahrnehmen, da ihr nicht einmal die zu wenigen offenen Arbeitsstellen vollzählig gemeldet werden. Und diese passen oft genug nicht zu den Arbeitswilligen. Dafür ist sie zwar nicht verantwortlich, aber es schmälert ihren Ruf. Indes wäre eine "Verschlankung" der Behörde aus Kosten- und Effektivitäts-Gründen dringend notwendig. Das kann nicht ohne massive Entlassungen und erhebliche Umstrukturierungen vorgenommen werden. Allerdings sind erstere angesichts der herrschenden wirtschaftlichen und politischen Lage nicht vertretbar, und für letztere ist der Personal-Apparat nicht flexibel genug. Zudem behindern die gewachsenen internen Strukturen einen wirkungsvollen Umbau.
Daher besteht die eigentliche Aufgabe des Vorsitzenden der BA darin, die Probleme nicht zu lösen und das absehbare Scheitern der vorgeblich angestrebten Reform möglichst medienwirksam in einen politischen Sieg zu verwandeln. Wo dies nicht gelingen mag, wäre schon die Mitteilung, es würde von nun an nicht mehr schlimmer, bereits als Etappensieg zu werten.
Daß ich den Posten dennoch und gänzlich bar jeglichen Sachverstands antreten will, kann angesichts dessen nur von Vorteil sein. Mangels Überblicks und interner Kenntnisse ist mir eine tatsächliche Umstrukturierung nicht möglich, und im großen Ganzen kann alles beim alten bleiben. Zumindest steht nicht zu erwarten, daß ich einen ernsthaften Schaden anrichten könnte. Allerdings kann ich mich währenddessen ganz vorzüglich in der Kunst verbaler Schönfärberei ergehen, und mit wenigen rhetorischen Stilmitteln einen Erfolg daraus machen, daß weiterhin erwartungsgemäß nichts vorankommt.
Da ich mich den anstehenden Aufgaben gänzlich unbefleckt von Fachkenntnissen entgegenstellen will, wäre ich zuweilen darauf angewiesen, mein Fünkchen Menschenverstand einzusetzen. Angesichts der unbestreitbaren Tatsache, daß weitaus Gebildetere als ich die Probleme nicht wirklich lösen konnten, gereicht meine völlige Unschuld in Sachen Kompetenz zum unschlagbaren Vorteil: Wo es an Betriebsblindheit fehlt, finden sich neue Blickwinkel. Ferner sähe ich mich (in Ermangelung einer bisherigen politischen Laufbahn) einzig den anstehenden Aufgaben verpflichtet. Dies eröffnet gute Chancen, daß mir ab und an etwas einfiele, das wünschenswert, sinnvoll, notwendig, naheliegend, machbar und überdies auch noch bezahlbar wäre - sechs Kriterien, die Menschen mit höheren politischen Weihen üblicherweise meiden wie der Vampir den Knoblauch. (Ein paar Ideen habe ich schon, werde sie vor einer festen Anstellung jedoch nicht allzu detailliert erklären.)
Die Notwendigkeit fundierten Sachverstandes für einige wenige Aufgaben innerhalb des angestrebten Postens sehe ich gleichwohl. Aber ich baue darauf, hierfür kompetente Berater einzustellen. Solange ich die nicht selbst bezahlen muß, sehe ich da auch keine Probleme. Während die ihre meine Arbeit tun, aufdaß ich letztlich über profunde Vorschläge zu entscheiden hätte, kann ich mir viele wohlklingende Euphemismen dafür ausdenken, daß die Lage weiterhin katastrophal ist und sich von diesem Stuhl aus auch gar nicht ändern läßt. Außerdem kann ich alles anders machen als mein Vorgänger: Der hatte die schönen Bezeichnungen, ich bin ein Mann des Slogans.
 
eigene Ideen
Es wird Zeit, das etwas fossil wirkende Logo der Bundesagentur den veränderten Bedingungen einer neuen Zeit anzupassen. Meinen radikalsten Entwurf dazu sehen Sie im Briefkopf.
Die Aussage dazu ist eine gänzlich neue Dynamik: War nach dem alten Logo der Weg in die Irrungen der Anstalt als Sackgasse schon vorgezeichnet, zeigt das neue, daß es nur drei Schritte bis zum Arbeitsmarkt (mit festem Boden unter den Füßen) sind.
Diesen (bereits geschützten) Entwurf nebst ausführlicher Erörterung und dazugehörigen Vorschlägen für Werbe-Spots stelle ich Ihnen für noch zu beziffernde Beträge auch dann gerne zur Disposition, falls Sie sich für einen anderen Bewerber entscheiden sollten.
 
Motivation
Es reizt mich, eine Aufgabe anzutreten, die sich ganz offenkundig nicht erfüllen läßt. Meine bisherigen Erfahrungen auf dem Gebiet der Arbeitslosigkeit lassen sich hier nutzbringend einsetzen. Der Unterschied zu meiner augenblicklichen Situation wäre, ein vertrautes Spiel in einer neuen Mannschaft zu spielen.
Sollte ich beiläufig und eher versehentlich dennoch eine gute Idee haben, die wider alle Wahrscheinlichkeit auch noch umgesetzt würde, wäre allen Seiten über dieses Maß hinaus gedient. Wo nicht, bin ich hochmotiviert, nach außen hin zu tun als ob: Ein guter Rhetoriker macht auch aus Stillstand Fortschritt.
Obschon ich grundsätzlich an einer mehr als mittelfristigen Tätigkeit interessiert bin, bin ich mir wohl bewußt, daß der angestrebte Posten naturgemäß keine Anstellung bis zum Erreichen des Rentenalters sein kann: Sobald der politische Bedarf dafür besteht, finden Sie mich daher durchaus bereit, die politischen Konsequenzen zu tragen.
 
angestrebte Bezüge
Ich bin bescheiden: Anstelle angemessener Bezahlung könnten mir die Konditionen des Amtsvorgängers bereits genügen. Zwar sollte ich mich Ihnen etwas teurer anbieten, um Ihnen meinen Wert zu demonstrieren. Aber so sehr ich Geld auch zu schätzen weiß, reizen mich doch vordringlich die Position und die damit verbundene Aufgabe.
Für Ihr Angebot bin ich offen.
 
Für nähere Fragen und konkrete Gespräche stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.
 
Mit freundlichen Grüßen
Hoetmar, den 04. 02. 2004
 
 
      hajo. Dreyfuß
 
VH :Das ist ... allerhand.
hajo. :Je nun, manche Leute sagen dem Narren Dreyfuß nach, er sei weise. Also bin ich für das Amt doch in doppeltem Sinne prächtig geeignet.
VH :Ein doppelter Sinn will sich mir nicht erschließen. Worin bestünde der?
hajo. :Einerseits muß man schon etwas närrisch sein, um sich überhaupt auf solch einen amtlichen Schleudersitz zu begeben. Andererseits bestünde die Weisheit darin, genau das zu wissen, wenn man es denn doch tut. Und beizeiten einen gut funktionierenden Fallschirm parat zu haben. Ich hörte, es gäbe da verschiedene Modelle...
 
... ein paar Tage später ...
 
VH :Mit Argumenten ist Dir offenbar nicht beizukommen. Also hat während unseres Plausches dankenswerterweise die Zeit gewirkt.
hajo. :Von Dir hätte ich ja eher "alea iacta est" erwartet, aber Du hast dennoch recht.
VH :Der neue Chef der BA steht jetzt wohl fest. Du bist es nicht. Es ist Herr Weise.
hajo. :Das werte ich als Teil-Erfolg.
VH :( baff )   Äh ... Wieso?
hajo. :Für den weisen Narren mochte man sich nicht entscheiden. Aber immerhin für jemanden, der bereits "Weise" geheißen wird. Ich bin mal gespannt, ob die Zeit dem noch ein Eigenschaftswort hinzufügt.