Ansichten eines  fast  normalen Bürgers
Victor Hugbald im Gespräch mit hajo. Dreyfuß
 
Jedem das Seine
 
VH :Am 18. Mai 2004 bekam der amtierende Bundeskanzler Gerhard Schröder von einem "einfachen Mann aus dem Volke" eine schallende Ohrfeige. Hat er das verdient?
hajo. :Ist das wirklich Deine Frage?
VH :Warum nur beschleicht mich das Gefühl, Du hättest mit einer Gegenfrage geantwortet?
hajo. :Mal ehrlich: Zwick Dich nicht manchmal auch die heimliche Wut? Möchtest Du nicht auch mal hingehen und den feinen Damen und Herren in Amt und Würden gehörig den Marsch blasen?
VH :Also manchmal, zuweilen... Gelegentlich verspüre ich schon den innigen Wunsch, bestimmte Verzapfer politischen Unfugs einfach mal über's Knie zu legen und ihnen gründlich den Hintern zu versohlen. Und anläßlich der besagten Ohrfeige war mein erster Gedanke: "Recht so." -- Habe ich jetzt genug gebeichtet, um Deine geschätzte Meinung zu erfahren?
hajo. :Aber jetzt wird es doch gerade erst spannend. Denn was beim Kanzler recht ist, sollte eigentlich schon für alle Politiker gelten, oder? Mir fällt schon auf Anhieb ein gutes halbes Dutzend Volksvertreter ein, die sich um solcherlei Würdigung mehrfach mindestens ebenbürtig verdient gemacht hätten. Manche scheinen geradezu professionell darum zu betteln. Kaum machen die vor laufender Kamera den Mund auf -- Watsch. Wohlverdient.
 Einjeder bekomme, was ihm zusteht. Laß mich das weiterdenken:
 Zunächst müßte ein Watschenmann in den Eingangsbereich des Bundestages gestellt werden, bei dem sich die allermeisten Politiker ihre tägliche Ration abholen dürften. Glaube bloß nicht, daß ich jetzt schon fertig wäre. Natürlich brauchen auch die Landtage Watschenmänner, nicht zu vergessen Gemeinderäte, Bürgermeisterämter, etliche Chefetagen, Gewerkschafts-Zentralen, und, und, und. Bis hin zu den heimlichen Hinterzimmern sollten landauf, landab Watschenmänner sein. Haben wir dafür eigentlich genug Arbeitslose?
 Jetzt nur nicht auf halber Strecke aufgehört, sondern flugs weitergedacht.
 Einjeder nach Verdienst. Da ist eine Ohrfeige manchmal nicht genug. Die Idee, den Hintern zu verbläuen, war gar nicht so übel. Auf groben Klotz ein grober Keil. Einige Entscheidungen tragen zwar schmerzliche Blessuren ein, aber das ist immer noch besser als teeren und federn. Wer nicht hören will, muß fühlen. Lassen wir keinen davonkommen. Wie lange dauert es wohl, bis wieder Galgen im Lande stehen?
VH :Hajo, mir graust vor Dir.
hajo. :Dabei hatte ich gerade erst angefangen. Was mit einer saftigen Ohrfeige beginnt, ist hier noch lange nicht zuende gedacht.
 Außerdem traf diese Watsche ja nicht nur den Bundeskanzler. Abbekommen hat sie auch der politisch engagierte Bürger Gerhard Schröder, der sein Studium der Abendschule verdankt und der hart und zäh an seiner Karriere gearbeitet hat. Auch wenn der Mann die Folgen seiner Sozialpolitik wohl kaum am eigenen Leibe erfahren dürfte: Hat er wirklich Schläge verdient?
 Die Erfahrung hat uns doch oft genug gezeigt, daß Strafen und Schläge die Menschen nicht bessern. Warum nicht daraus lernen? Demokratien schmücken sich aus gutem Grund gerne mit der Behauptung, ohne Gewalt auszukommen. Denn daran, wie sehr das stimmt, läßt sich der Grad der Zivilisation messen.
VH :Jetzt reicht es mir aber. Wir sprechen hier nicht von Prügel, sondern von einer Ohrfeige. Von einer symbolischen Handlung. Laß den gewalttätigen Aspekt bitte mal weg.
hajo. :Ginge es wirklich nur um ein vernehmliches Klatschen im Gesicht, fiele mir das leichter. Das ist es bei Kanzlern unserer jungen Demokratie aber noch nie gewesen, diese Kunnst wird eben nur von Wenigen beherrscht. Und wir konnten auch schon sehen, daß Farbbeutel nicht immer harmlos sind. Also tue mich selbst bei Eiern oder faulen Tomaten schon schwer, und frischer weicher Dung ist ja auch nicht immer leicht aufzutreiben. Außerdem: Wer weiß schon, was da so alles drinsteckt...
VH :Wir waren beim symbolischen Akt ...
hajo. :... an der Figur des Bundeskanzlers. Die Ohrfeige als drastischer Ausdruck der Kritik an der von ihm verkörperten Regierungspolitik. Richtig so?
 Wenn wir also bei Symbolen sind, warum bleiben wir nicht dabei? Nur ein Beispiel: Die symbolische Übergabe eines rot schimmernden modellierten Ohres mit einer schönen großen saftigen Feige daran. Das ganze auf einem Brettchen im Folio-Format, das mit tiefgrünem Samt bezogen und einer Widmung im Messingschild versehen ist, und hinten noch ein Haken dran, aufdaß es über den Kamin gehängt werden kann. Derlei hätte sich zum selben Anlaß gewiß ebenso medienwirksam verabreichen lassen. Besonders, wenn man darauf hinweisen kann, daß man nahe genug gewesen wäre, um auch körperlich zu werden.
 Also, wenn mich mal jemand ganz spontan fragen würde, ob dieser unser Bundskanzler die Watsche zu Mannheim verdient hätte...
VH :(leise)  Na endlich. Ich wollte schon aufgegeben.
hajo. :... dann könnte ich ganz direkt und ohne Umschweife sagen: Nein.
Jedem das Seine, aber das hat der Mann nicht verdient.
VH :Sondern? Hast Du etwa eine bessere Idee?
Du hast da doch dieses gewisse Glitzern in den Augen ...
hajo. :Wir werden sehen ...
VH :Du glaubst doch hoffentlich nicht ernsthaft, daß unser aller Kanzler stattdessen Deine Bewerbung um ausgerechnet das Amt seines Hofnarren verdient hätte.
hajo. :Hättest Du nicht das Wort "stattdessen" verwendet, hätte ich Deine Frage ja vielleicht noch ziemlich kurz und ohne eingeflochtene Nebensätze beantworten können ...
VH :(seufzt)  Jetzt geb' ich auf.