Ansichten eines  fast  normalen Bürgers

Fernsehverbot für den Heiland?

Printwerbung Eine Werbeanzeige zeigt Jesus beim Fernsehen. Der Opfertod ist vollbracht, und nun sitzet er bequem in einem gepolsterten Sessel und amüsiert sich offenbar HERRlich über das Programm. Selbst der Erlöser kann, so die Botschaft des Bildes, auch mal "Lachen statt rumhängen".
Kaum ist die Anzeige in den Zeitschriften, da bricht ein Sturm der Entrüstung los. Führende Vertreter von Kirchen und CSU verurteilen sie wortreich und scharf, die Dachverbände der Juden und Muslime in Deutschland nennen sie "geschmacklos", der Werberat rügt, und im Schwall der Proteste fehlt auch nicht der rachedürstende Ruf nach Bestrafung: Umgehend wurde gleich mehrfach Strafanzeige wegen Gotteslästerung erstattet. – Bevor uns Bilder erboster Menschen erreichen, die auf brennenden Fernseh-Geräten herumtrampeln, hier also flugs mein eigen Kikeriki zu diesem Aufruhr der Frommen.

Also, ich gönne dem Heiland diese "kleine Pause" von Herzen.

Christliche Botschaft: Der Heiland gehört ans Kreuz. Immerhin hat er die nicht oft: In Kirchen, Gemeinden, Schulen, Rathäusern, öffentlichen Räumen und privaten Gemächern geht die Summe der aktuell Gekreuzigten weltweit in die Milliarden. Und täglich werden tausendfach neue Heilande nachgebildet, wird Christi Abbild immer wieder fest und gründlich an neue Kreuze genagelt, genietet, gelötet. Dort hängt er dann, pausenlos und wirklich unbequem. Nicht einmal von Karsamstag bis Ostermontag wird er heruntergenommen. Dagegen ist die Zahl anderer Christus-Darstellungen eher überschaubar, die Summe verschwindend gering. Auch dies kann als Botschaft verstanden werden: Christi Platz sei bitteschön an diesen beiden Balken.

Angesichts dessen kann es dem Erlöser der Christenheit durchaus gegönnt werden, wenn es ihm in einzelnen Darstellungen ausnahmsweise mal gut geht.

Amen.  

Nachdem sich manche Kritiker der Werbung zum Urteil über deren Qualität berufen sahen, sei hier der Qualität mancher Kritiken ein bewundernder Blick gewidmet:

Gesten reinster Friedfertigkeit ...

Unter den vielen Musterbeispielen gelebter Bergpredigt ragt ein Andreas Späth strahlend heraus, wenn er darauf hinweist, "daß man auf den Islam (wohl wegen seines latenten Gewaltpotentials) bis zur Selbstverleugnung Rücksicht nimmt, während man über Christen permanent Dreckkübel ausgießt - wohlwissend, daß man es sich hier trauen kann."

Währenddessen erklingen beim Hinhalten der anderen Wange aus Joachim Herrmann nachdenkliche Töne, die blasphemisches Gedankengut für die Zerstörung der Buddha-Statuen in Afghanistan, die Anschläge vom 11. September 2001 und nicht zuletzt auch solche Werbung verantwortlich wissen, und folglich den Weltfrieden als auch die Völkerverständigung durch bessere Gesetze schützen möchten: "Wenn die Staatsanwaltschaft eine strafbare Religionsbeschimpfung nach Paragraph 166 Strafgesetzbuch erst dann sehen sollte, wenn sich die Empörung schon auf der Straße Luft macht, müsste das Gesetz korrigiert werden".

Erfrischend kurz und ebenso deutlich bringt dies ein Kronjuwel gleich zweier Stände, Peter Welnhofer, auf den Punkt, wenn er darauf hinweist, bisher würden "vor allem jene in ihrem Glauben geschützt, die gewaltbereit" seien.

• Wir dürfen es wohl als besonderes Glück empfinden, daß diese Herren keine Muslims sind. Und natürlich möchte gewiß keiner der drei Edlen den Gedanken nahelegen, gewaltsamer Protest könne womöglich helfen, "religiös Unerwünschtes" zu verbieten.

... und tätiger Nächstenliebe

Als wahres Glanzstück an Tugendfülle erzeigt sich der Arbeitskreis Christliche Werte der CDU Rhein-Neckar, der den Verantwortlichen verspricht: "Am kommenden Karfreitag werden wir auch für Sie beten, denn Sie gehören zu denjenigen, die Jesus immer noch kreuzigen."

• Wer sich berufen weiß, "den christlichen Glauben und alle Christen" (sic!) zu verteidigen, darf den Anlaß stellvertretender Entrüstung durchaus auch eigenäugig kennen. Denn dort folgt auf Christi Leid direkt – Christ's Delight.

Stille Post ...Pastor mit erhobenem Zeigefinger

Aufdaß wir wissen, was wir vielleicht versehentlich überblättert hatten, ohne uns zu ereifern, klärt uns Andreas Späth auf: "Der Sender wirbt mit einem quasi nackten Jesus mit Dornenkrone, der amüsiert auf ein leeres Kreuz schaut."

• Quasi nackt? Sozusagen nur mit Lendenschurz? Wie überraschend. Ein Skandal. Das sollte man dringend petzen.

Immerhin, genau so weiß es auch der Vatikan: "Der Sender wirbt mit einem nackten Jesus mit Dornenkrone, der amüsiert auf ein leeres Kreuz schaut."

Und auch auf islam.de steht es so: "Ein nackter Christus mit Dornenkrone als Werbefigur, der amüsiert auf das leere Kreuz schaut"

• Stille Post pur. Zur nächsten Station (Ein splitternackter Heiland verlacht höhnisch das leere Kreuz) kam es allerdings denn doch nicht. Offen bleibt, wer die fundierte eigene Meinung von wem abgeschrieben hat.

... bis zur reinen Irrlehre

Und einen echten Kardinal hört man erklären, die Kreuzigung Christi werde von Millionen Menschen stellvertretend für das Leiden vieler Menschen gesehen.

• Verzeihung, Excellenz: Das mag zwar stimmen. Aber ging es an dieser Stelle nicht eigentlich um die Vergebung der Sünden?

Wie so oft bei frommem Protest, ergab sich auch zu diesem Anlaß eine große Zahl höchst innovativer Interpretationen der Bergpredigt.
Engel Gerade das Vokabular der Entrüstung, das sich an solchen Prüfsteinen des Glaubens manifestiert, wäre eigentlich eine liebevolle nähere Betrachtung wert. Aber das würde diesen Rahmen sprengen. Daher beschränke ich mich an dieser Stelle auf den milden Hinweis und übe mich ausnahmsweise in barmherzigem Schweigen.

April 2006