Beinahe  normale Taten eines  fast  normalen Bürgers

A k t i o n

K-Narr

Hofnarr des Bundeskanzleramts

durchaus ernstliches Bemühen
um ein verschollenes Amt

Stand:  Februar 2006
Prolog ... Hintergrund des Geschehens
Bewerbung ... bei der Kanzlerin
Interview ... mit Victor Hugbald
Nachhaken ... und weiterer Ausblick
Status – neuester Stand
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Prolog
Europa im Jahre 2005: Über fünfzehn lange Jahre ist es nun schon her, daß vier Jahrzehnte "kalten Krieges" ein Ende fanden, als die UdSSR das Wettrüsten mit den USA um Haaresbreite verlor. Während sich im Westen "Gods own Country" genug erholte, um das Dasein als einzige Supermacht zu genießen, hatte sich im Osten das große Reich der sozialistischen Bruderländer an seinen Rändern langsam in Regionen und ehemalige Einzelstaaten aufgelöst, die von Moskau nicht mehr alle kontrolliert werden konnten. So war eine Welle friedlicher Revolutionen durch das Reich gegangen, das damit sichtbar schrumpfte. Der deutschen Wiedervereinigung folgte zögernd die europäische. Unter dem Namen "Globalisierung" geriet der gezähmt geglaubte Kapitalismus zu neuen Kräften. Nicht mehr Faust und Gewehr, sondern Ellbogen und Geldbörse wurden zum bevorzugten Mittel der Eroberung.
In Deutschland hatten sinkende Geburtenraten schon seit mehr als zwei Jahrzehnten tiefgreifende Reformen notwendig gemacht, was allerdings zur Sicherung von Pfründen und mit Blick auf die nächsten Wahlen stets zuverlässig und beharrlich aufgeschoben worden war. Die veränderten wirtschaftlichen Bedingungen ließen dafür nun immer weniger Spielraum. Nach ersten zaghaften Bestrebungen zur Jahrtausendwende wagte es die Regierung im Jahre 2003 denn endlich, den ersten wackeligen halben Schritt auf die Kostenbremse schon mal "Reformpaket" zu nennen und ihr Volk vorsichtig darauf vorzubereiten, daß demnächst wohl einige der Änderungen vorgenommen werden müßten, die gute zehn Jahre zuvor vielleicht noch knapp rechtzeitig gewesen wären.
Während das Wort "Reform" die Bedeutung "Umverteilung nach oben" bekam und der Gegenentwurf der Opposition nur darin bestand, diesen Kurs noch intensiver gestalten zu wollen, bedankte sich das gebeutelte Volk anläßlich der nächsten Wahl bei beiden großen Volksparteien: Es entzog ihnen das Vertrauen. Die so Gescholtenen indes feierten sich als Sieger und taten sich zu einer großen Koalition zusammen.
An der Spitze dieser Regierung steht nun eine einsame Kanzlerin, die für viele Menschen gut geeignet ist, die gesamte Regierung zu verkörpern: Das Macht-Bewußtsein der Beteiligten ist kaum zu übersehen, während die Frage nach dem Verantwortungs-Bewußsein mit schöner Regelmäßigkeit vor der Tagespolitik verblaßt.
Hoch über dem Land zieht der Mond seine Bahn.
In seinem stillen Kämmerlein sitzet ein Bürger und sinnt. Er hat sich den Lauf der Geschichte ebenso geduldig wie genau angesehen, ermißt sorgfältig die Spielregeln von Wirtschaft und Politik und sucht seinen eigenen angemessenen Platz darin. Dann setzt er sich hin und schreibt einen Brief.
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Hajo Dreyfuß
( .. Adresse .. ), den 3. Dezember 2005
 
 
Dr. Angela Merkel
Bundeskanzleramt
Willy-Brandt-Str. 1
10557 Berlin
 
 
Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin,
hiermit bitte ich Sie, im Bundeskanzleramt das verschollene Amt des Hofnarren wieder einzurichten.
Auf den ersten Blick mag es unpassend erscheinen, dieses untergegangene Amt ausgerechnet in einer Demokratie wiederzubeleben, da es doch fest in die Zeit der Feudalherrschaft zu gehören scheint. Unter einem Hofnarren stellen wir uns daher ein kunterbuntes Etwas an der Seite eines absoluten Herrschers vor, dessen Zweckmäßigkeit im Reigen demokratisch gewählter Repräsentanten nicht sofort einleuchtet. Dennoch wäre eine vergleichbare Funktion durchaus nützlich und sinnvoll. Bitte gestatten Sie mir, dies in drei Kernpunkten kurz darzulegen:
1.Genaugenommen wäre ein außenstehender Spötter an allen Knotenpunkten der Macht (wo Wenige über das Schicksal Vieler entscheiden) eine wertvolle Ergänzung: Die Gefahr von "Betriebsblindheit auf hohem Niveau" ließe sich bei allen Beteiligten verringern, "Bodenhaftung" hingegen erhöhen. Die Kosten manch kapitaler Blamage hätten sich durch ein bissiges Bonmot zur rechten Zeit auf ein herzhaftes Gelächter beschränkt. Das betrifft zwar nicht allein die Politik, aber gerade diese wäre aufgrund ihrer Vorbildfunktion ein idealer Vorreiter (und von ihr würde es auch an erster Stelle erwartet).
2.Zudem böte die Einrichtung einer "Stimme der Machtlosen" an oberster Stelle dem zunehmenden Druck, dem sich die Regierten ausgesetzt sehen, ein Ventil von unschätzbarem sozialem Wert.
3.Nicht zuletzt wäre in Krisenzeiten (bei geschickter Nutzung solch einer Figur) eine günstige Möglichkeit gegeben, die Aufmerksamkeit der Medien auf ein harmloseres Nebenthema zu lenken - und sich damit manche Umbildungen des Kabinetts zu ersparen.
Dies ließe sich natürlich ergänzen und vertiefen. An dieser Stelle mag es als erster Beleg genügen, daß mein Vorschlag zwar ungewöhnlich ist, aber spezifische Vorteile birgt.
Die Bitte um Wiederbelebung des Hofnarrenamtes richte ich direkt an Sie, da Sie sowohl direkt davon betroffen (und folglich an erster Stelle zu überzeugen) wären - als auch in der beneidenswerten Position sind, den entsprechenden Posten bei Bedarf direkt schaffen zu können.
Sollte ich Ihr Interesse geweckt haben, stehe ich Ihnen für nähere Fragen (Spezifikationen, Status, Stellenbeschreibung, etc.) gerne beratend zur Verfügung. Sie finden in mir einen kompetenten Ansprechpartner, da mir einerseits die gegenwärtige Literatur zu historischen Hofnarren geläufig ist und ich andererseits seit längerem beruflich auf vergleichbarem Gebiet (als Schauspieler in der Figur des mittelalterlichen Hofnarren) erfolgreich tätig bin.
Für den erhofften Fall, daß mein Vorschlag einen neuen Arbeitsplatz schafft, bitte ich überdies, dieses mein Schreiben bereits als formlose Bewerbung zu betrachten.
Über eine baldige Antwort würde ich mich sehr freuen.
 
Mit freundlichen Grüßen
 
 ( Dreyfuß )
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VH :Soll das ein Scherz sein? In Demokratien gibt es keine Hofnarren.
hajo. :Na und? Das läßt sich doch ändern. Immerhin ist die Bundesregierung Gründungs-Mitglied der Initiative "Partner für Innovation". Du weißt schon: jenem emsigen Think-Tank aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Gewerkschaften, dem wir die tiefsinnige Botschaft "Du bist Deutschland" verdanken.
VH :Äh. Ja. Fein. Und was möchtest Du mir damit bedeuten?
hajo. :Das erklärte Ziel der Initiative ist doch die Förderung von Innovationen. Das Fremdwort läßt sich treffend mit Neuerungen übersetzen. Und nachdem sich unsere Regierungs-Parteien (zugunsten ihrer Glaubwürdigkeit) eine gewisse Anstandsfrist zur Bildung einer Großen Koalition gelassen haben, neuert die neue Regierung jetzt, was das Zeug hält. Da wird in ungeahnter Einmütigkeit reformiert, daß es eine Pracht ist. Also kann auch ganz innovativ die Neuerung eingeführt werden, daß es in einer Demokratie wieder Hofnarren gibt.
VH :Der Sozial- und Wohlfahrts-Staat wird gerade rundum-reformiert, als gälte es, den Staat auf eine Silbe zu stutzen. Warum sollte sich die Regierung gerade jetzt einen weiteren Kostenfaktor namens "Hofnarr" gönnen wollen?
hajo. :Diese Bedenken teile ich nicht: Die Anschaffung zusätzlicher Staatssekretäre war doch auch kein Problem. Und gerade jetzt wäre auch ein sehr guter Zeitpunkt, den guten alten Hofnarren wieder einzusetzen.
VH :Meinst Du damit vielleicht das Datum Deiner Bewerbung?
hajo. :Ich sehe, Du hast aufgepaßt. Für einen Narren ist das Datum durchaus symbolträchtig: Der Koalitionsvertrag ist ausgerechnet am 11.11. verfaßt, unsere Kanzlerin kam elf Tage später ins Amt, und ich habe mit meiner Bewerbung bewußt bis zum elften Tag ihrer Regierungszeit gewartet. Damit wäre der Symbolik allerdings auch schon genüge getan. Vielleicht hätte ich statt vom Zeitpunkt besser von der Konstellation sprechen sollen...–
VH :Willst Du jetzt nach der närrischen Numerologie etwa auf Astrologie hinaus? Ich zöge es vor, wenn Du mir mal gute Gründe nennen könntest, weshalb Deine Bewerbung etwas anderes als ein Narrenstreich in der fünften Jahreszeit sein sollte.
hajo. :Die Gründe, die ich unserer Kanzlerin vorgelegt habe, halte ich schon für gut. Außerdem war ich gerade dabei, es Dir zu erklären. Die Konstellation, von der ich sprach, sehe ich sowohl im großen als auch im kleinen Rahmen. Für den Großen muß ich etwas ausholen...–
VH :Das hatte ich befürchtet. Hole aber bitte nicht allzu weit aus.
hajo. :Na gut, weil Du es bist. Es ist Dir bestimmt nicht entgangen, daß das Wort "Globalisierung" nicht nur erweiterte Kommunikation bedeutet, sondern auch mit einer weltweit dichter werdenden Geld- und Machtfülle einhergeht. Damit wächst zwangsläufig auch die Entfernung zwischen jenen, die Entscheidungen treffen und denen, die sie tragen. Kein Wunder also, wenn sich jegliche Bevölkerung immer deutlicher als "ohnmächtig" erlebt und ziemlich hilflos den Umständen ausgeliefert vorkommt. Das schafft in direkter Folge zunehmenden Unmut, der immer häufiger als "sozialer Sprengstoff" bezeichnet wird.
VH :Wenn ich mir anschaue, daß in letzter Zeit wieder fleißiger demonstriert und gestreikt wird, daß im benachbarten Frankreich schon mal wochenlange Straßenschlachten auftreten, oder daß islamische Geistliche notfalls internationale Unterstützung einholen... – dann bekomme ich eine ungefähre Ahnung, was damit gemeint sein könnte.
hajo. :Vor diesem Hintergrund böte die Figur des klassischen Hofnarren als "vernehmliche Stimme der Machtlosen" ein bislang ungenutztes Ventil – und damit einen unschätzbaren Vorteil von hohem politischen und sozialen Wert. Das habe ich nicht etwa nur so hingeschrieben, weil es sich hübsch ausmacht. Es stimmt auch.
VH :Von Kabarett scheinst Du ja nicht viel zu halten, wie?
hajo. :Doch, sogar sehr. Aber der Narr legt dort erst richtig los, wo selbst das Kabarett aus guten Gründen langsam vorsichtig und eher rücksichtsvoll wird, um schließlich ganz sanft aufzuhören.
 Aber ich sollte mich ja kurz fassen. Also komme ich mal flugs zum kleinen Rahmen der günstigen Konstellation. Also zurück zu der Frage, weshalb gerade jetzt ein guter Moment wäre, das Amt des Hofnarren im Kanzleramt mit neuem Leben zu erfüllen...–
VH :Darf ich an dieser Stelle mal lästern, daß Du solch einen guten Moment schon einmal für gekommen gehalten hattest?
hajo. :Aber bitte. Du hättest mir kein besseres Stichwort geben können.
 Bereits der frühere Kanzler bot gute Gründe für eine Bewerbung. Das Neue an dessen "Politik der neuen Mitte" war ja die innovative Position dieser Mitte. Die lag so weit "rechts" vom ursprünglich "linken" SPD-Standpunkt, daß sich sogar die CSU bemüßigt sah, als "soziales Gewissen der SPD" tätig zu werden. Und dort, in der neuen Mitte, ruhte und regierte der Kanzler der klingenden Worte oft genug, ohne die eigene Partei oder gar den Koalitions-Partner zu befragen. Nach damaligen Maßstäben gab es kaum noch Möglichkeiten, diese Konzentration von Macht legitim zu steigern...–
VH :-... Was Dich denn auch prompt veranlaßte, Dich Herrn Schröder als Kanzler-Narr anzudienen. Was ist daraus eigentlich geworden?
hajo. :Zu dieser Frage erging sich das Kanzleramt in einem sehr ausführlichem Schweigen. In Ermangelung einer Antwort bin ich also auf meine Phantasie angewiesen: Den Titel "Kanzler's Narr" hatten die Medien bereits Elmar Brandt verliehen. Dessen bissige Parodien zielten allerdings direkt und ausschließlich auf den Regenten. Daher vermute ich, daß dieser erklärte Hofnarr des Kanzlers Bedarf bereits zur Genüge deckte.
 Auch, wenn ich eigentlich eine Antwort erwartet hatte, bin ich über des neuen Altkanzlers Schweigen nicht gram. Weder er noch ich konnten ja damals ahnen, daß das Schicksal noch die höchst unwahrscheinliche Steigerung einer Großen Koalition bereithielt. Und deren politische Richtlinien werden nun kompetent bestimmt von einer Kanzlerin, die auch noch just der Fraktion vorsteht, die den Bundesrat dominiert.
 Wenn ich also der Meinung bin, an die Knotenpunkte der Macht gehöre jeweils ein Narr, dann ist dieser Knoten nun wirklich augenfällig genug. Diese Institution genau jetzt endlich wieder einzurichten, ist wahrhaft spät genug.
VH :Was meinst Du genau, wenn Du so selbstverständlich von "Knotenpunkten der Macht" sprichst?
hajo. :Damit meine ich solche Stellen, an denen sehr wenige Leute Entscheidungen treffen, die sehr viele Menschen dann ausbaden dürfen – wobei dies meistens andere Menschen sind. Dieses Bewußtsein gerät bei schwierigen Fragen manchmal etwas ins Hintertreffen. Genau darum halte ich es für durchaus sinnvoll und angemessen, jedem einzelnen Entscheidungsträger ab einer gewissen Führungsebene einen persönlichen Hofnarren beizugeben. Ich sehe an vielen Stellen dringenden Bedarf, nicht allein in der Politik, ich denke da auch an Körperschaften öffentlichen Rechts, zudem das höhere Management, gewisse Vorstandszimmer, die Kirchen nicht zu vergessen...
VH :Andererseits könnte es gerade den Bedürftigsten möglicherweise etwas an Einsicht ermangeln...
hajo. :Ich bin mir sicher, daß ganze Scharen geplagter Gemahlinnen in dieses Lied einstimmen können. – Zudem fehlt es derzeit leider immer noch an fähigem Personal in genügender Menge. Deshalb schlage ich ja erst einmal nur einen einzelnen Narren an weithin sichtbarer Stelle vor, sozusagen als Leuchtturm-Projekt. Man will ja realistisch bleiben.
VH :Eine gewisse Zurückhaltung Deiner Idee gegenüber ist duchaus verständlich, wenn man bedenkt, daß des Narren Spott auch sein Herrchen treffen könnte...–
hajo. :-... oder sein Frauchen. An dieser Stelle bin ich selbst etwas unsicher. Der historische Hofnarr folgte aus gutem Grund dem Leitspruch: "Wes Brot ich ess', des Lied ich sing'." Daher konnte der mittelalterliche Regent ziemlich sicher sein, von seines Narren öffentlichem Spott weitgehend verschont zu bleiben. Wenn aber ein moderner Hofnarr als "Stimme der Machtlosen" tätig sein soll, dürften nicht wenige Menschen von ihm erwarten, daß er auch und gerade seiner Herrschaft ab und zu mal ein paar eher unverblümte Worte angedeihen ließe. Es müßte vielleicht nicht so drastisch sein, wie wir es von einem gewissen Stimmimitator erleben durften. Aber komplette Schonung stieße womöglich auf Unverständnis. – Da es also berechtigte Interessen gibt, die nicht gleichzeitig befriedigt werden können, habe ich beschlossen, mich in diesem Punkt jetzt einfach nicht festzulegen. Der wäre bei Schaffung der Stelle also "Verhandlungsmasse".
 (grinst)  Natürlich ließe sich mit dieser Frage auch ein Politikum schaffen, mit dem von weitaus bedeutenderen Fragen abgelenkt werden kann...
VH :Das führt zu den Schattenseiten der Stelle, die Du erstrebst: Auch ein Narr könnte benutzt werden.
hajo. :Aber natürlich. Gerade seine sprichwörtliche Narrenfreiheit läßt sich ausnutzen. Das Erste, was ihm in dieser Hinsicht widerführe, wäre wohl, vorgeschickt zu werden. Das geht in alle Richtungen, herunter ("Liebes Volk, wir müssen Eure Gürtel enger schnallen.") wie auch herauf ("Liebe Chefin, man kam überein, Dein vorzüglicher Vorschlag sei ursprünglich wohl doch von mir gewesen. Wo soll ich ihn unterzeichnen?"), aber auch kreuz und quer: Verschiedenste Leute könnten dem Narren heimlich geistreiche Kommentare zustecken, die letztlich ja gar nicht von ihnen gesagt wären. Gerade diese Möglichkeit finde ich sehr reizvoll. Immerhin könnte sie einige Politiker von der zweifelhaften Pflicht entbinden, ständig lauthals "Kikeriki" zu rufen.
 Ich sehe auch durchaus die Möglichkeit, den Narren gezielt einzusetzen, um die allgemeine Aufmerksamkeit von unerwünschten Wahrnehmungen abzulenken. Wer "Per Anhalter durch die Galaxis" gelesen hat, wird von dieser Idee vermutlich nicht wirklich überrascht sein. Zwar sehe ich darin nicht des Narren Aufgabe, und ich biete mich auch nicht für solcherlei Dienste an. Aber ich bin weder idealistisch noch kurzsichtig genug, diese Möglichkeit zu übersehen.
VH :Wäre solch eine gezielte Ablenkung nicht ein Mißbrauch des Narren-Amtes?
hajo. :Das wäre sie wohl – sofern dem Narren eine Falle gestellt worden wäre. Ansonsten wäre sie eher die Frucht einer gelungenen Bestechung oder Erpressung. Zu seinen Amtspflichten würde ich derlei jedenfalls nicht zählen.
VH :Das klingt so integer, daß ich es einfach nicht glauben kann.
hajo. :Habe ich behauptet, unfehlbar zu sein? Jeder Mensch hat mal ein Formtief, und schwache Stellen gibt es natürlich auch bei mir. Eine meiner auffälligsten Schwächen beispielsweise besteht darin, mein lästerliches Schandmaul nicht halten zu können. Gerade darin sehe ich meine besondere Eignung für diesen Posten.
VH :Hast Du soetwas wie einen Standpunkt?
hajo. :Du würdest mich gerne einem Haufen zuordnen, stimmt's? Natürlich habe ich meinen eigenen Blickwinkel und bilde mir meine eigene Meinung. Dabei ist für mich richtig, partei- und konfessionslos zu sein (und mir hier überwiegend neutral vorzukommen), allerdings mit humanistischen Grundwerten. Damit bin ich für manche Ideen etwas anfälliger, aber das dürfte kaum genügen, daß irgendein Lager mich wirklich vereinnahmen könnte. Ich wäre wohl in jeder Partei ein Abweichler.
VH :Nehmen wir an, Dein Wunsch wäre erhört worden. Es gäbe das Amt des "Bundesnarren". Der Posten wäre gerade frei geworden. Was würdest Du Dir von Deiner Bewerbung erhoffen?
hajo. :Natürlich, daß ich den Job bekomme. Was dachtest Du denn?
VH :Eigentlich dachte ich gerade unwillkürlich, zu einer Kanzlerin wäre eine Närrin eigentlich passender...
hajo. :Sexist.
VH : (unschuldig) Irgendwie muß die Chauvi-Kasse ja mal voll werden.
hajo. :Rein optisch wäre eine Närrin diesmal tatsächlich passender. Ich fände es allerdings völlig richtig, wenn bei gleicher Qualifikation dem schönen Geschlecht stets der Vorzug gegeben würde. Insofern erhoffe ich mir eine günstige Bewerbungslage. War es das, was Du hören wolltest?
VH :Was ich eigentlich von Dir wissen wollte, was versprichst Du Dir selbst von dem "Job"? Was soll dabei für Dich herausspringen? Was würdest Du Dir von Deiner Amtstätigkeit erhoffen? Immerhin spricht ein Amt an der Seite der Regentin doch schon für ein gewisses Einkommen und vielleicht auch etwas Einfluß. Besser?
hajo. :Viel besser. Hättest Du das nicht gleich fragen können? Aua, nicht hauen. – Also, der Reihe nach. Von meiner Amtstätigkeit würde ich mir erhoffen, daß ich beweisen kann, wie sinnvoll und notwendig der Posten ist. Und daß er deshalb nach meiner Amtszeit fürderhin nur an jemanden vergeben wird, der oder die mindestens ebenso respektlos ist wie ich. Und natürlich, daß das Beispiel Schule macht. Vergiß nicht, ich denke da in etwas größerem Maßstab.
 Allerdings halte ich mich gerne möglichst fern von Gelüsten nach Macht oder Reichtum. Natürlich möchte ich, daß mich der Job gut ernährt und kleidet. Aber ich habe nur diesen einen kleinen meinen Hintern, um ihn in einer teuren Hose spazieren zu tragen. Und politische Macht gehört nicht in Narrenhände. So einfach ist das.
 Bislang hat mir dieses Bewußtsein sehr gut dabei geholfen, bescheiden zu bleiben. Deshalb bin ich auch für kommende Tage sehr zuversichtlich, wenn es denn für den amtierenden Narren Dreyfuß endlich gilt, "wider die Lobby zu löcken".
VH :Wenn Geld und Macht Dich nicht lockt, wie steht es dann mit Ansehen, Publicity, Blitzlichtgewitter?
hajo. :Jetzt suchst Du den "käuflichen Punkt", stimmt's? Klar bin ich eitel. Wer sich einem Publikum aussetzt, sollte das schon mitbringen, das gehört zu den Grundvoraussetzungen. Als gelernter Schauspieler habe ich das auch im Gepäck. Aber Ruhm und Ehre fordern hohen Tribut. Den werde ich wohl zahlen müssen, wenn ich mein Ziel erreichen möchte. Aber das bedeutet voraussichtlich mehr Last als Lust. Eigentlich genügt mir meine abgewetzte kleine Prise Lorbeer schon.
VH :Nichtsda. Du hast es Dir gewünscht, also mußt Du auch damit klarkommen, wenn Dein Wunsch erfüllt wird. Wenn Du also die ersehnte Stelle innehättest: Was wäre die Maxime Deines Handelns?
hajo. :Soll ich hier eine Art Wahlversprechen abgeben, oder warum fragst Du auch das nochmal so ganz genau nach?
VH :Mich interessiert eher, wie ich mir Dich an der Seite der Kanzlerin vorstellen soll.
hajo. :Wie Narren eben so sind – oder zumindest sein sollten. Zunächst reizt mich die Pointe. Der Aspekt des "Lustigmachers" stünde da wohl augenfällig im Vordergrund. Aber so richtig stolz wäre ich auf mich, wenn es mir gelänge, mit meinem Dazwischenquaken ernstlichen Schaden abwenden zu können. Ich stelle mir da vor, daß dank der richtigen Pointe doch mal jemand zwischendurch auf den Narren hört und ausgemachter Quatsch noch während der Beratung als solcher erkannt wird – und nicht erst, nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist.
VH :Allmählich glaube ich Dir. Es ist Dir ernst. Du willst dieses Amt.
hajo. :Hatte ich irgendwo angedeutet, zu scherzen? Das kann einem beim Blick auf die sozialen, politischen und wirtschaftlichen Strukturen schnell vergehen. Die haben sich auf eine Art entwickelt, das verschollene Amt des Hofnarren wieder eine sinnvolle und notwendige Einrichtung wäre. Das ist leicht gesagt, aber leider schwer zu belegen.
 Gäbe es dieses Amt auch nur seit den paar Jährchen, seit ich dieser Auffassung bin, dann könnte ich Dir jetzt bestimmt auf Anhieb ein gutes Dutzend Beispiele, Anlässe und Gelegenheiten aufzeigen, mit denen sich der Nutzen und die Notwendigkeit des "Bundesnarren" ganz zweifelsfrei beweisen ließe. Ich glaube nicht, daß jeder Minister das von seinem Amte überzeugend sagen kann. Da aber bislang niemand auf diese naheliegende Idee verfallen ist, muß ich nun eben selbst tätig werden und mich persönlich dafür einsetzen, daß dieser Posten endlich wieder eingerichtet wird.
 Würde ich nicht selbst glauben, was ich sage, bräuchte ich diesen Aufwand gar nicht betreiben, sondern könnte mich sehr bequem auf Stammtisch-Politik beschränken. Aber schau Dir die Entwicklung der letzten zwanzig, dreißig Jahre doch einmal an: Die jüngere Geschichte schreit doch geradezu nach dieser Ergänzung. Ich tue eigentlich nichts anderes, als diesem Ruf zu folgen.
VH :Hätte da nicht der Vorschlag genügt, soetwas wieder einzurichten? Mußtest Du Dich unbedingt auch selbst bewerben? Schreit die Geschichte nach Dir?
hajo. :Meine Narrenkappe scheint wohl abzufärben. Du spottest gar nicht so übel. Im Ernst: Ich fühle mich nicht als moderner Robin Hood. Vermutlich wird man mich auch eher mit Don Quichote vergleichen. – Nun aber zu Deiner Frage: Es wäre doch müßig, einen so hochspezialisierten Posten schaffen zu wollen, wenn es für den dann gar keine geeigneten Bewerber gibt. Die Inkompetenz hat einen breiten Hintern, darum sitzt sie ja auf so vielen Stühlen. Bevor jetzt noch zusätzlich ein unfähiger Hofnarr erkoren wird, wäre man wohl besser beraten, es bei der Salvator-Rede zu belassen: Das Eintags-Pöstchen auf dem Nockherberg ist derzeit wirklich gut besetzt und bringt die Kosten locker rein.
VH :Und Du glaubst ernstlich, ausgerechnet Du wärest für den Posten geeignet?
hajo. :Warum nicht? Das betrachte ich als hinlänglich bewiesen. Immerhin arbeite ich seit etlichen Jahren hauptberuflich auf historischen Festen und "Mittelalter-Märkten" als Hofnarr. Ich suche also nicht etwa einen neuen Job, sondern biete mich für ein weiteres Betätigungsfeld an. "Back to the Roots" bedeutet hier, daß ich damit näher an den historischen Wurzeln dessen wäre, was ich derzeit ohnehin tue.
VH :Also, ich fasse das mal zusammen. Du denkst Dir einen Job auf höchster Ebene aus, den Du auch machen könntest. Dann führst Du gute Gründe an, weshalb die Stelle notwendig sei. Und zuletzt bietest Du Dich als geeigneter (und vermutlich einziger) Bewerber an. Was macht Dich glauben, daß so etwas klappen könnte?
hajo. :Das ist Narrenlogik, davon verstehst Du nichts. Wünsch' mir lieber Glück.
VH :Das tue ich. Du wirst es wohl brauchen.
hajo. :Herr Hugbald, ich bedanke mich für das Gespräch.
VH :Heh, das war doch eigentlich mein Text!
hajo. :(grinst)
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Hoch über dem Land zieht der Mond seine Bahn.

Unten ruht die Angelegenheit in seligem Schlummer.

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Offenbar war das Kanzleramt anfänglich zunächst noch mit Regierungsbildung und Antrittsbesuchen gänzlich ausgelastet, – um sich hernach intensiv der Regierungsarbeit und Haushalts-Konsolidierung zu widmen. Die ersten Ergebnisse zeigen bereits trefflich, wie sich Mehrausgaben grundsolide mit Mehreinsparungen und Steuererhöhungen gegenfinanzieren lassen. Ganz offensichtlich wurde angestrengt an wichtigen Fragen gearbeitet.
Indes ist der eingereichte Vorschlag zur Einrichtung des neuen alten Amtes von so seltener und vorzüglicher Qualität, daß er derzeit nichts anderes als verblüffte Sprachlosigkeit hervorruft. Um der einzig angemessenen Reaktion ("Aber natürlich! Warum bin ich nicht selbst darauf gekommen?") eine kleine Geburtshilfe zu leisten, erlaubt sich der oben erwähnte Bürger, an sein Anliegen zu erinnern:

 

( .. Absender / Zieladresse .. )14. Februar 2006
 
Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin,
vor ein paar Wochen bat ich Sie, im Bundeskanzleramt das verschollene Amt des Hofnarren wieder einzurichten. Für dieses Anliegen gab ich triftige Gründe (und einen nützlichen Nebeneffekt) an – und bewarb mich abschließend auch gleich um die Stelle.
Vertiefend möchte ich kurz darauf hinweisen, daß meine Bewerbung durchaus ernstgemeint ist – und übrigens ganz den Geist der Initiative "Innovation für Deuschland" atmet (deren Gründungsmitglied ja auch die Bundesregierung ist). In deren – noch immer stattfindender – Kampagne "Du bist Deutschland" wurde bekanntlich viel Zeit und Geld investiert, es wurde auf beachtliche Einnahmen verzichtet, um auch mir beharrlich Mut zum Aufbruch zuzusprechen. Da nun auch Ihre Neujahrsansprache, verehrte Frau Bundeskanzlerin, zum Aufbruch ermuntert, kann und will ich mich nicht lumpen lassen: Aus langjähriger Erfahrung in der Rolle des Hofnarren weiß ich, daß diese Tätigkeit derzeit die beste Leistung ermöglicht, zu der ich fähig bin. Und statt über "die Politik" zu meckern, biete ich diesem unserem Lande nun meine besten Fähigkeiten an - so wie man es als guter Freund täte. Daher wage ich es gerne, mich an höchster Stelle noch übertreffen zu wollen. Es schreckt mich nicht, innovativ zu werden, neue Wege einzuschlagen, bislang Ungedachtes zu denken und scheinbar Unerreichbares anzustreben: "Hofnarr von Deutschland".
Der Grund für die bislang fehlende Resonanz aus Ihrem Hause liegt offenkundig darin, daß Sie gerade mit vordringlichen Fragen von größerer Bedeutung befaßt sind. Zudem buhlt mein Ansinnen nur als eines von vielen um Ihre geschätzte Aufmerksamkeit. Nur wenige Menschen hierzulande werden hier mehr Verständnis aufbringen als ich. Dennoch wäre ich für eine kurze Notiz dankbar, die eine ungefähre Perspektive eröffnet, wann ich eine Antwort in angemessener Tiefe erwarten darf.
 
Mit wirklichst freundlichen Grüßen
( Dreyfuß ) 

 

VH :Sollte es mir diesmal wirklich vergönnt sein, Dir gegenüber ein einziges mal recht zu behalten?
hajo. :Das glaube ich kaum. Langfristig bekommst Du weder recht noch das letzte Wort. Das ist nun einmal der Lauf der Dinge, finde Dich damit ab. Die kurzfristige Häme gönne ich Dir gern.
VH :Nun will es aber eher scheinen, als wäre es an Dir, abfinderisch zu werden, mein lieber Narr. Die Kanzlerin der Großen Koalition scheint von ihrer geschätzten Aufmerksamkeit ebensowenig für Dich zu erübrigen wie der ihr vorangegangene Kanzler der Großen Auftritte. Was Du in meinem Gesichte siehst, ist nicht Häme, sondern ehrliches Mitgefühl.
hajo. :Das glaube, wer will.
VH :Und doch ist es so. Inzwischen hast Du vier Schreiben losgelassen, an zwei Kanzler je einmal Deinen Vorschlag und eine Erinnerung. Wir haben uns hier darüber unterhalten, und es gab sogar einen Hauch von Widerhall in der Presse. Nur aus dem Kanzleramt kam nichts. Das war's. Dein Projekt "Hofnarr von Deutschland" ist genau hier am Ende.
hajo. :Du solltest mich besser kennen. Was bisher geschah, war der Fairneß geschuldet. Die es direkt angeht, sollten ihre Gelegenheit bekommen, sich zu äußern und ihre eigenen Vorstellungen beizutragen. Sollte das nicht erwünscht sein und also auch dieses vierte Schreiben ignoriert werden, ist das noch lange nicht das Ende der Aktion. Im Gegenteil, dann fängt sie erst richtig an. Ich lasse mich doch nicht mundtot schweigen.
VH :Das hätte mich auch gewundert. Andererseits kannst Du unsere Kanzlerin nicht einfach zwingen, Dich als ihren Hofnarren ertragen zu müssen. Du kannst nur argumentieren, und das liegt doch wohl nun hinter uns. Deinem Blick entnehme ich allerdings, daß Du etwas im Schilde führst. Was also hast Du als nächstes vor?
hajo. :Abwarten. Möglicherweise reagiert die Kanzlerin ja doch noch. Sollte sie sich der K-Narren-Frage nachweislich nur mit Wahrnehmungs-Verhütung nach Ranz-Igno widmen wollen, werde ich tun, was ein Narr in meiner Position dann tun muß.
VH :Was wäre das, bitte? Mich beschleicht der Eindruck, Du drückst Dich gerade vor einer Antwort.
hajo. :Aber nein. Ich drücke mich doch nicht. Stattdessen beweise ich lediglich ein Talent, das Du bei mir nicht vermutet hättest: Ich kann auch mal schweigen. Schließlich soll "Phase Zwei" der Aktion eine Überraschung werden.
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Hoch über dem Land zieht der Mond seine Bahn.

...  Fortsetzung folgt  ...